Die Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel
Streiflichter von der Reformation bis in die Neuzeit
Wesels evangelische Gemeinde hat eine besondere Entstehungsgeschichte . Sie entstand in einem katholischen Herrschaftsgebiet gegen das geltende Reichsrecht und sie brauchte dazu sieben Jahrzehnte. Treibende Kraft war der Stadtrat.
Die Geburtsstunde - Ostern 1540
Als Geburtstag der Gemeinde in Wesel gilt der erste Ostertag 1540. Wenig vorher war Anton von Fürstenberg, der Pfarrer der Altstadtkirche St. Willibrordi, gestorben. Schon zwei Jahre vorher hatte der Stadtrat einen Kaplan, Iman Ortzen, zu seiner Vertretung angestellt und dessen Besoldung aus der Stadtkasse übernommen. Der ehemalige Augustiner war einer Kirchenreform aufgeschlossen. Das befürwortete die Mehrheit im Stadtrat der Hansestadt, die zum norddeutschen Kulturraum zählte. Auf Grund einer Initiative aus der Bürgerschaft wurde Ostern 1540 in der Altstadtkirche mit Genehmigung Herzogs Wilhelm d. Reiche erstmals ein Abendmahl unter beider Gestalt, mit Brot und Wein, gefeiert. Dafür war Iman Ortzen, jetzt Prediger der Altstadt, eingetreten. Wesel begab sich auf einen eigenständigen Weg der Reformation.
Zur Unterstützung berief der Stadtrat einen älteren lutherischen Theologen, Nicolaus Busch, und übertrug ihm als Superintendent die Aufsicht über Wesels Kirche und Schule.
Eigentlich mußte die Stadt die kirchliche Reformordnung einhalten, die der Vater des Herzogs, Johann III. von Jülich-Kleve-Berg, in den Jahren 1532/33 erlassen hatte. Der Stadtrat hegte bei seinem Vorgehen keine Bedenken, weil es in der Herzogsordnung als Grundsatz hieß: Es solle im Gottesdienst nichts gegen Gottes Wort geschehen. Zur Überprüfung erschienen in Wesel herzögliche Räte. Sie fanden nichts zu beanstanden.
Trotz Widerstand Kirchenlieder in deutscher Sprache
Nach einigem Widerstand aus der Bevölkerung wurde 1542 auch in der Vorstadtkirche Mathena die traditionelle Messe eingestellt. Stattdessen wurde regelmäßig gepredigt, erklangen Kirchenlieder in deutscher Sprache und beim Abendmahl wurden Brot und Wein gereicht. Eine Minderheit in Wesel wollte weiter die Messe feiern. Sie wurde - auch um den Herzog zufrieden zu stellen - auf die Klöster der Dominikaner und der Fraterherren in Wesel verwiesen.
1548 wurde Wesels Reformation von außen unterbrochen. Kaiser Karl V. befahl in einem Brief die Anerkennung des “Augsburger Interims”, die Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes. Wesel mußte evangelische Prediger und den Superintendenten entlassen. Herzog Wilhelm schickte umgehend zwei Interimsprediger seiner Wahl. In den Häusern wirkte weiter - sozusagen privat - der Stadtprediger Thomas van der Straten. Er konnte als geborener Weseler Bürger vom Herzog nicht ausgewiesen werden.
Als sich die politisch-militärische Lage 1552 im Reich änderte, begann in der Vorstadtkirche Mathena wieder der evangelische Gottesdienst.
Zeitweise Anerkennung des lutherischen Bekenntnisses
1555 wurde im Augsburger Religionsfrieden das lutherische Bekenntnis anerkannt. Nun berief der Stadtrat zwei neue Prediger und verpflichtete sie auf evangelische Gottesdienste. Der Herzog aber schickte, nachdem er das Pfarrbesetzungsrecht für Wesel erlangt hatte, an die Altstadtkirche seinen Hofprediger.
1561 beschloss die Stadt Wesel offiziell das lutherische Bekenntnis. Der Hofprediger wagte nicht, sich zu widersetzen.
In den folgenden Jahren wurde die konfessionelle Frage zunehmend durch die in die Stadt kommenden Glaubensflüchtlinge aus den spanischen Niederlanden beeinflußt. Bereits 1544 hatten französisch sprechende Wallonen - vom Stadtrat geduldet - in Wesel eine Flüchtlingsgemeinde gegründet. Sie hatten unterschrieben, keine Wiedertäufer zu sein.
Ab 1567 kamen in größerer Zahl niederländisch sprechende Glaubens- und Wirtschaftsflüchtlinge in die Stadt. Bei den Taufen und Trauungen gehörten sie zur Stadtgemeinde, hatten aber in einem Presbyterium eine eigene Gemeindeleitung und eine eigene Armenpflege, wie auch die Wallonen. 1561 weigerten sich die Wallonen, Wesels Glaubensbekenntnis zu unterschreiben. Seit 1560 war auch Iman Ortzen wieder in Wesel als Prediger der Mathenakirche. Auch er hatte gegen das lutherische Stadtbekenntnis Vorbehalte. Wallonen und Niederländer schlossen sich 1571 einer in Emden gegründeten niederländisch-reformierten Flüchtlingskirche an. In Wesel hatten vor der entsprechenden Synode Beratungen niederländischer Flüchtlingsgemeinden stattgefunden, der “Weseler Konvent”. In der Folgezeit beteiligten sich auch Wesels Stadtprediger an den niederländischen Synoden im Herzogtum Kleve.
In Wesel blieb die Konfessionsfrage in der Schwebe. Ein entschiedenes Luthertum fand keine Mehrheit unter den Predigern, nicht im Stadtrat und nicht bei der Bevölkerung. Es fehlte eine besondere kirchliche Leitung. Der Stadtrat entschied in Religionssachen von Fall zu Fall. Kriegsereignisse ließen den Niederrhein nicht zur Ruhe kommen.
Um 1600 gab es in Wesel eine katholische Minderheit (Klosterkirchen), die beiden großen Stadtkirchen mit reformierten Predigern, eine reformierte wallonische Gemeinde (Gasthauskapelle) und eine Anzahl lutherischer Familien (Hauskirche).
Endgültige Ausprägung der Reformation
Nach dem Aussterben des klevischen Herzoghauses 1609 fand die Reformation in Wesel ihre endgültige Ausprägung. Unter dem Schutz der Brandenburger wurde 1610 in Duisburg auf einer Generalsynode die reformierte Kirche von Jülich-Kleve-Berg gegründet. Vorsitzender dieser Synode war Wesels Stadtprediger D. Wilhelm Stephani. In der Stadt schlossen sich 1612 Stadtgemeinde und Niederländer zu einer reformierten Stadtgemeinde mit einem gemeinsamen Presbyterium als Leitungsorgan zusammen. Zusätzliche Vertreter entsandte in das Presbyterium der Stadtrat.
Unter dem Schutz der Pfalz-Neuburger wurde 1612 auf einer ersten Synode die lutherische Kirche des Herzogtums Kleve in Dinslaken gegründet. Deren Vorsitzender war der Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Wesel, Johannes Hesselbein. Wesel hatte ab da zwei konfessionsgetrennte evangelische Gemeinden. Wesels Katholiken gehörten weiterhin zum Erzbistum Köln. Wesel war eine multikonfessionelle Stadt.
1817 schlossen sich die reformierte Stadtgemeinde und die größer gewordene lutherische Gemeinde zur gemeinsamen Evangelischen Kirchengemeinde Wesel zusammen. Sie besteht in derselben räumlichen Ausdehnung bis heute.
Auf Grund verschiedener Migrationen, der Gebietsreform und der Säkularisierung beträgt heute der evangelische Bevölkerungsanteil in Wesel ca. 35 %.
Walter Stempel
Literatur:
... vnnder beider gestalt... Die Reformation in der Stadt Wesel (Weseler Museumsschriften 26 hsg. von Werner Arand). Köln/Bonn 1990.
Walter Stempel. Die Reformation in der Stadt Wesel, in: Geschichte der Stadt Wesel hsg. von Jutta Prieur, Band 2, S. 107 - 147, Düsseldorf 1991.
Ein Streifzug durch die Geschichte
Das Archiv - Geschichte in Zahlen und Fakten
Die Kirchengemeinde Wesel besitzt eines der ältesten und bedeutendsten evangelischen Kirchenarchive im Rheinland. Der Bestand umfasst Urkunden, Protokolle, Briefwechsel, Amts- und Rechnungsbücher sowie Sammelakten der alten Stadtgemeinde, der niederländischen reformierten Flüchtlingsgemeinde, der ehemaligen lutherischen Gemeinde und der seit 1817 bestehenden unierten Kirchengemeinde von der Reformationszeit bis in die Gegenwart. Die Kirchenrechnungen der Stadtkirche St. Willibrordi beginnen bereits 1401. Das älteste Traubuch, das der Vorstadtkirche Mathena, beginnt 1564, im Jahr der offiziellen Einführung von Kirchenbüchern. Der Bestand ist durch Repertorien erschlossen. Duplikate davon sind im Weseler Stadtarchiv und im Archiv der Landeskirche in Düsseldorf vorhanden.
Das Archiv besitzt eine größere Sammlung von Literatur zur Geschichte der Kirchengemeinde und zur Kirchengeschichte des Niederrheins.
Standort des Archivs ist das Lutherhaus, Korbmacherstraße 14, 46483 Wesel (Innenstadt) Anfragen werden schriftlich gerne beantwortet. Besuche im Archiv sind nach Absprache möglich.
Ansprechpartner:
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