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In memoriam Walter Stempel

Zitate aus Predigt und Würdigungen im Rahmen des Trauergottesdienstes für Walter Stempel

Am vergangenen Montag, 15.12., fand nach der Beisetzung Walter Stempelt, der kurz vor seinem 84. Geburtstag verstorben war, der Trauergottesdienst in "seinem" Willibrordi-Dom statt. Im folgenden dokumentieren wir Abschnitte aus der Predigt von Pfarrerin Sarah Brödenfeld sowie den Ansprachen von Superintendent Thomas Brödenfeld und dem Vorsitzenden des Dombauvereins, Karl-Heinz Tieben.

 

Sarah Brödenfeld Predigt:

"Angesichts des Todes von Walter Stempel, der uns heute hier zusammenführt, waren und sind viele Menschen in Wesel und andernorts, sind wir alle, die wir heute hier sind, bestürzt und wie vor den Kopf gestoßen. Kaum begreifen wir die Tragik der Umstände: dass bei einem üblichen Spaziergang, der so typisch für Walter Stempel war, so eine Katastrophe geschehen würde. Unsere Frage nach dem Warum, warum es so sein musste, findet keine Antwort.

Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. Als Dietrich Bonhoeffer so dichtete, war Walter Stempel vierzehn Jahre alt. Und er war wohl gerade auf dem Weg nach Duisburg, nach zwei Jahren in der Kinderlandverschickung. Kaum jemand unter uns kann erahnen, wie sehr ihn diese zwei Jahre geprägt haben müssen. Er hatte mit seiner kompletten Schulklasse mitsamt der Lehrerinnen in die Tschechoslowakei aufbrechen und dort leben müssen zwischen Schul- und Lagerbetrieb, im Lernen und Arbeiten. Der Weg mit dem Zug zurück nach Hause geriet zu einem wahren Höllentrip. Zuerst war sein älterer Bruder Günther bei dem Versuch, ihn abzuholen, in Kriegsgefangenschaft geraten, die fünf Jahre dauern sollte.

Dazu waren die Spuren des Krieges überall zu sehen und zu spüren: Viele Gleise waren zerstört, die Lok des Zuges zerbombt worden. Lange Monate gab es kein oder nur sehr schleppendes Fortkommen und die Kinder hausten zusammengepfercht in einem Waggon, organisierten sich Kartoffeln aus Gärten, aßen, was irgend sonst zu finden war. Während dieser Zeit gab es keine Nachricht von Zuhause. Es gab für diese jungen Menschen und für Walter Stempel unter ihnen nichts als nur Heimatlosigkeit, Verlassenheit, Trostlosigkeit zu erleben.

Als der Zug schließlich in Duisburg einrollte, rannte er heim, um seine Eltern zu suchen – und traf sie lebend an.

Ach Herr, gib unseren aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. In dieser dunklen Zeit hatte Walter Stempel erlebt, was Menschen anrichten können durch die Manipulation von Gefühlen und Wünschen, durch Ideologie und Fanatismus, durch Hass und Gewalt. Und zugleich hat er dort wohl wie nie davor und nie mehr danach so eine starke Gemeinschaft erfahren wie dort mit seinen Schulkameraden im Eisenbahnwaggon. Tief geprägt haben ihn diese Erfahrungen. Sie haben seine Theologie und sein soziales Engagement über die Maßen bestimmt. Und sie haben seinen Geist und seine Vernunft geschärft und immer wach gehalten, auf dass keine Verführung der Emotionen passiere."

 

Superintendent Thomas Brödenfeld:

"Wie oft mag Walter Stempel an diesem Ort gewesen sein, an dem wir heute von ihm Abschied nehmen?Viele tausend Mal wird das wohl gewesen sein, in den über 50 Jahren, in denen Walter Stempel mit seiner Familie hier in Wesel lebte. Ein halbes Jahrhundert, in der Willibrord und Walter Stempel zueinander fanden und zusammen wuchsen.

Predigend, erklärend, vortragend oder einfach nur zuhörend hat Walter Stempel jede Stelle in dieser Kirche gekannt, sie ist ihm zu einem vertrauten und liebgewonnenen Zuhause geworden.Und er machte keinen Unterschied darin, ob er Schulklassen oder hohe Repräsentanten aus der Politik und Denkmalpflege durch den Dom führte.

Wir nehmen heute Abschied von einem Mann, der sich um unsere Kirchengemeinde und um unseren Kirchenkreis, aber auch um diese Stadt Wesel verdient gemacht hat.Es war ein Glücksfall, dass der gebürtige Duisburger Walter Stempel 1963 hierher nach Wesel kam. An den noch deutlich an seinen Kriegsschäden leidenden Dom. Zu den Menschen, die allmählich begannen, das Trauma der Zerstörungen ihrer Stadt zu verarbeiten und die nach Sinn und Orientierung fragten. Mit seiner sachlichen und zugleich eindrücklichen Persönlichkeit hat Walter Stempel als Prediger und Seelsorger das Leben vieler Menschen in Gemeinde und Kirchenkreis geprägt. Er war Pastor – Hirte - seiner Gemeinde und fühlte sich ihr verbunden und verantwortlich. Walter Stempel stellte sich Zeit seines Lebens in den Dienst der Sache und der ihm anvertrauten Menschen. Die Sache oder Menschen in den Dienst seiner Person zu stellen, war ihm fremd. Die 60ger und 70ger Jahre waren Aufbruch- und Reformjahre. Auch in unserer Kirche. Walter Stempel sah oft früher als andere, was notwendig und „dran“ war. Die Gründung der Ehe- Familien- und Lebensberatungsstelle unseres Kirchenkreises lag ihm besonders am Herzen.

Menschen in Not ein verlässlicher Ratgeber und Partner zu sein, trieb ihn an. Die Initiierung der ökumenischen Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland ging maßgeblich auf seine Impulse zurück. Sein großes Wissen und seine Kompetenz, auch gegensätzliche Positionen zu vereinen, konnte er über viele Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Krankenhauses und an der Spitze der Stiftung Lühlerheim zum Wohle dieser Einrichtungen und der darin betreuten Menschen einsetzen. In den 16 Jahren als Superintendent unseres Kirchenkreises hat Walter Stempel stets für einen guten und tragfähigen Ausgleich zwischen der großen und selbstbewussten Kirchengemeinde Wesel und den Interessen der 13 anderen Gemeinden im Kirchenkreis gesorgt. Die Kreissynoden unseres Kirchenkreises leitete er mit großem Geschick. Seinem klugen und weitsichtigen Planen und Handeln ist es mit zu verdanken, dass unser Kirchenkreis in den jetzt auf uns zukommenden Veränderungen auf einem guten Fundament steht. Walter Stempel ist zu einem Gesicht unserer Stadt geworden. Um die Menschen in Bürger- und Christengemeinde hat er sich in hohem Maße verdient gemacht. Sein feiner Humor und seine authentische Menschlichkeit haben Walter Stempel ausgezeichnet. Auch daran werden wir uns erinnern. Wir verneigen uns heute vor einer herausragenden Persönlichkeit! Wir werden Walter Stempel nicht vergessen. Er bleibt in unseren Herzen."

 

Karl-Heinz Tieben, Vorsitzender des Dombauvereins:

"Als Pfarrer Walter Stempel im Jahre 1963 seinen Dienst hier antrat, war der Wiederaufbau des Domes noch im vollen Gange. Im gleichen Jahr wurden das Langhaus fertig gestellt und die erste Nachkriegsorgel aufgebaut. Es fehlten noch einige Seitenschiffe, die Turmhalle, das farbige Westfenster, der hohe Turmhelm, das Brautportal und der Dachreiter mit dem Glockenspiel. Es blieb also noch viel zu tun. Der bisherige „Jugendpfarrer“ sprang ins kalte Wasser, wurde Mitglied des Dombauvorstands und beschäftigte sich neben der Gemeindearbeit, den kirchenkreislichen und sozialen Aufgaben, mit dem Wiederaufbau und der Gestaltung des historischen Großgebäudes. Wie alles in seinem Leben tat er dies systematisch, gründlich und zielgerichtet. Er stöberte im ergiebigen Kirchenarchiv, erwarb umfassende Kenntnisse der Weseler Kirchengeschichte, der Geschichte der Stadt und der Region. Davon  profitierte der Dombauverein, später auch die von ihm mit gegründete Historische Vereinigung. Er wirkte mit bei großen Ausstellungen, seine Veröffentlichungen fanden Interesse und Anerkennung. Im Jahre 1987 übernahm er den Vorsitz des Dombauvereins, den er über seine Pensionierung hinaus bis 2001 mit großem Engagement geführt hat. In diese Zeit fielen die Rekonstruktion des Brautportals und als Schlusspunkt des Wiederaufbaues der Dachreiter mit dem Glockenspiel.

Neben dem baulichen Erhalt des Gebäudes trieb ihn bald die Sorge um die dauerhafte finanzielle Absicherung des Domes um. Schließlich gelang es, mit der Kirchengemeinde und interessierten Bürgern und Firmen die Dombaustiftung zu gründen. Deren positive Entwicklung konnte Walter Stempel noch miterleben.

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dombauvorstand blieb er dem Dom und dem Verein treu, gemeinsam mit seiner Ehefrau Ruth, die ihm eine große Stütze war. Als er dann nach dem Tod seiner Frau ins Altenheim am Willibrordiplatz zog, hatte sein Appartement selbstverständlich Blick auf den geliebten Dom. Seine täglichen Spaziergänge begannen oder endeten fast immer am oder im Dom, seinem zweiten Zuhause. Trotz seiner zunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen fand er noch lange interessierte Besucher, die seinen Erzählungen lauschten oder mit auf den Turm stiegen. Abschließend möchte ich noch einmal Walter Stempel zitieren: Er schrieb vor 20 Jahren in einem Prospekt:

„Heute ist der Dom das Wahrzeichen einer aus Trümmern wieder erstandenen Stadt, der Ort des Gottesdienstes, der Kirchenmusik und eine Stätte der ökumenischen Gemeinschaft, Wesels großes historisches Denkmal.“ 

Dieses Ergebnis haben Dombauvorstände, Dombaumeister, Dom-Pfarrer erreicht. Pastor Walter Stempel war einer der aktivsten unter ihnen. Der Dombauverein, die Kirchengemeinde, die Stadt Wesel, wir alle haben ihm viel zu verdanken."